Poysdorf, die Weinstadt �sterreichs
Open-Air Galerie Ohmeyer - Poysdorf, Maria Ohmeyer-Weg

Begegnung mit Maria Ohmeyer
 

Maria Ohmeyer - Begegnung mit einer Künstlerin, Sept. 1981 (von Elfriede Lenk)

Meine engere Bekanntschaft mit Maria Ohmeyer begann im Jahr1972. Ihr Wunsch, meinen fünfjährigen Sohn zu porträtieren, hatte einige Besuche in ihrem Atelier zu Folge.

Sie öffnete mir in einer schwarzen Hose, ergänzt mit einer türkisfarbenen Bluse, die Haare in der ihr eigenen Art hochgesteckt, darüber einen leichten Schleierschal, den sie, in einer bei uns nicht üblichen Art, über ihr rotblondes Haar drapierte. Die rotlackierten Nägel verblaßten neben den vielen Farbflecken an ihren Händen- jeweils vom gerade entstehenden Bild. Farbflecke gehörten zu ihr, wie die unendlich vielen Schlüssel an einem groben Bund, den sie immer um eine Hand geschlungen, bei sich trug. Hohe Absätze und ein beschwingter Gang, sowie ein leichter Schalk in ihren Augen verliehen ihr eine jugendliche Ausstrahlung. In diesem Moment war es schwer zu glauben, daß Maria Ohmeyer 76 Jahre alt war.

Temperamentvoll "flog" sie durch die Zimmer ihrer alteingerichteten Wohnung, um ihre Ölbilder, oft vier- bis fünffach gestaffelt, an den Wänden angelehnt, zu zeigen. Dazwischen öffnete sie Kästen und Schubladen, die überquollen von ihren geliebten Skizzenmappen.


"Wissen Sie, Skizzen sind das unmittelbare Erlebnis. Erlebnisfähigkeit ist der Kern der Kunst, dieser Kern wird dann zum Ballon. Skizzen sind für mich oft viel wertvoller als das fertige Bild."

Während sie bei einer Farbskizze das Orange der Gladiolen bewunderte, zeigte sie schon auf Porträts von Poysdorfer Weinhauern, Bäuerinnen, flocht kleine humorvolle Geschichten dazu ein , ließ mir nicht Zeit, die vielen Kinderporträts zu bewundern.

Viele Poysdorfer Motive, Weinviertler Landschaften, unzählige Blumenbilder, stellte sie unermüdlich auf die Staffelei, um sie besser betrachten zu können. Plötzlich sagte sie:"Ich lebe mit meinen Bildern, wenn ich mich von ihnen trennen müsste, das wäre, als würde man mir das Hemd über den Kopf ausziehen. Ich käme mir nackt vor." Dies ist sicher eine Erklärung, warum sie kein Bild verkauft.

Vor dem Porträt ihres um 20 Jahre älteren Gatten, Alphons von Ohmeyer, ehemaliger k.u.k. General, beginnt sie Bruchstücke ihrer Lebensgeschichte zu erzählen. Vom Gatten, den sie nach 29-jähriger Ehe durch einen Verkehrsunfall verloren hat. Von ihrem einzigen Sohn, der 20-jährig im 2. Weltkrieg gefallen ist. Plötzlich steht eine andere Maria Ohmeyer vor mir - eine verwundbare, sensible Frau und Mutter. Leise sagt sie, während sie sich vom Porträt ihres Sohnes abwendet: "Alles, was wir sind, ist unser Wille. Ich habe noch immer einen ungeheuren Willen, er erhält mich am Leben. Ich habe mich durchgerungen, in allem das Positive zu sehen, das hat mir meinen Humor erhalten. Die Kunst hat mir geholfen, die vielen einsamen Stunden zu ertragen."

Übergangslos erzählt sie, mit Kubin verwandt zu sein, durch ihren Vater Leonhard Schmidt, der aus Nikolsburg stammte. Auf diese Verwandtschaft ist die Künstlerin richtig stolz. Aus den ersten Besuchen wurde eine Freundschaft. Ich besuchte die Künstlerin immer wieder. Ich durfte ihre vielen Gedichte und "Gedanken" lesen.

Den Sinn ihres künstlerischen Lebens zu begreifen und bejahen, mit dem Verlust ihrer Familie fertig zu werden, die Einsamkeit zu ertragen und letztendlich Gott zu verstehen - das alles hat diese Frau geprägt und seinen Niederschlag in ihren Gedichten und Bildern gefunden. Ich freute mich immer wieder auf ihre sprunghaft temperamentvolle Art, immer geistreich, oft auch humorvoll, zu erzählen.

Einmal betrachtete sie ihre Pietá. Da sagt sie: "Verstehen sie jetzt, was ich gelitten habe, als ich das Gesicht der Maria malte? Ich hätte es nie so malen können, ohne den Verlust meines eigenen Sohnes. Ich habe über ein Jahr an dem Bild gearbeitet."

Am 5. September 1981 war die Künstlerin bereits 85 Jahre - keine Farbflecken mehr an ihren Händen, eine verstaubte Staffelei mit vertrockneten Ölfarben, das letzte Bild ist mit 1973 datiert. Sie hat bis heute eine offene Tür für jeden Besucher, und zeigt gerne ihre Bilder her. Oft steht sie dann selbst staunend vor ihren Werken und sagt: "Gott, wie hab ich das alles einmal gekonnt, ist das alles wirklich von mir?"

Ihren Kampf als Künstlerin hat sie abgeschlossen. Ihre verbliebenen Kräfte gebraucht sie nun, um mit ihrem Lebensabend fertig zu werden.

Aus Schriftenreihe "Das Weinviertel", Heft 6, 1981